Lina Morgenstern

Glaube, Andacht und Pflicht

Du sollst keine fremden Götter haben vor mir

Freilich bist du fern davon, Bilder von Holz oder Stein, Gestalten am Himmel oder auf der Erde als Götter zu verehren, wie die Alten getan; solcherlei Götzendienst hat allen Grund und Boden in der bessern Erkenntnis der Gegenwart verloren. Aber es gibt einen andern Götzendienst, der um so gefährlicher ist, als er fast unschuldig erscheint, sich daher unversehens deines Geistes bemächtigt und unmerklich Herrschaft über dich übt. Es ist der Aberglaube, es ist die Leidenschaft, es ist die Menschenfurcht und die Hoffnung auf irdische Macht und irdische Güter statt auf Gott.

Frage dich ernst, ob du wirklich den Gott der Vernunft und Güte allein herrschend weißt in dem ganzen Weltall und in deinen eignen Angelegenheiten. Beantworte dir's aufrichtig, ob Torheiten wie diese in dein Herz keinen Eingang finden: zu glauben, dass dein Schicksal von gewissen unvernünftigen Zufälligkeiten abhängig sei, dass gewisse Tage Glück, andre Unheil bringen, dass es Wunderkuren und magische Gebräuche gebe, durch welche Krankheiten abgewendet werden können, dass dreizehn Personen bei Tische zu meiden seien, dass Träume die Zukunft beeinflussen oder gar bestimmen. Wenn du an einer solchen Torheit noch hängst, hast du auch noch nicht jeglichen Götzendienst überwunden.

Prüfe dich, ob Geiz, Genusssucht, Stolz, Trägheit oder andre Leidenschaften nicht stärker sind in dir als das Gebet: du sollst lieben den Ewigen, deinen Gott, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzem Vermögen. Findest du, dass letzteres Gebot bei dir noch manchmal jenen Leidenschaften weichen muss, so wisse, dass du noch immer in den Banden des Götzendienstes gefesselt bist.

Siehe zu, ob in dir die Furcht vor Gott und seinem heilig-gerechten Willen immerdar den Sieg davon trägt über die Furcht vor Menschen, ihrem Unwillen, ihrer Ungnade, ihrer Rache, ihrer Tücke; ob du nicht oft genug noch das Gute unterlässt, das Gott will, weil Menschen es nicht wollen, oder das Böse tust, das Gott hasst, weil Menschen es lieben; ob du der Wahrheit ungescheut die Ehre gibst, als dem Siegel der Gottheit, wenn sie auch denen ungelegen kommt, von deren Zuneigung dein augenblicklicher Vorteil abhängt. Wenn du noch je im Stande bist, im Widerstreit zwischen Gott und Menschen, den letzteren zu dienen, so hast du auch den Götzendienst noch nicht allseitig bezwungen.

Forsche endlich in deinem Innern, ob du wirklich, nachdem Gott von dir als einzig allmächtiges, unbedingt weises und gütiges Wesen erkannt worden, auf ihn allein deine höchste Hoffnung setzt. Denn nicht umsonst wird beides zusammen von dir verlangt: erkenne und nimm es zu Herzen, dass der Ewige allein Gott ist im Himmel droben und auf Erden unten und keiner außer ihm. Was du mit Verstand eingesehen und mit Vernunft erfasst, muss auch all deine Empfindungen, deine ganze Seele beherrschen. Erkenntnis und Gefühl müssen einander vollkommen entsprechen. Forsche also darnach, ob der erkannte Gott der Weisheit und Güte auch zum stärksten Hort deines Lebens geworden, ob du nicht sprichst in deinem Herzen: meine Kraft und die Stärke meiner Hand hat mir dieses Vermögen geschaffen, sondern des Ewigen dabei gedenkst, der dir die Kraft gibt, Vermögen zu erwerben«; ob du nicht auf Reichtum oder Menschenhilfe unbedingter baust als auf den Allmächtigen.

Insoweit du dir all diese Fragen nicht vollends zu deinen Gunsten beantworten kannst, bist du die »fremden Götter« noch nicht los. Arbeite also an dir, dass du frei wirst von ihrem Dienste.

Gottes Eifer

Der Ewige ist ein eifervoller Gott.

Schon du selbst, als im Ebenbild der Gottheit geschaffen, sollst nicht gleichgültig blicken auf das Gute und Böse, das rings um dich geschieht, und kannst es auch nicht, so lange noch ein Funke des Geistes in dir vorhanden, der heiligend und erleuchtend dein Wesen durchglüht; sondern es regen sich unwillkürlich Anerkennung und Beifall in deiner Brust, wenn du die Taten und Gesinnungen des Edelmutes gewahrst, und es erhebt sich ebenso die Stimme der Zurechtweisung und des Tadels, wenn dir die schnöde Missetat auf deinem Wege entgegentritt.

Um wie viel mehr, das wirst du leicht begreifen, muss das Urbild, welchem du nachgeschaffen bist und welches du dennoch in seiner sittlichen Majestät ewig nicht zu erreichen vermagst, von den Taten der Sünde verlegt, von den Handlungen der Güte befriedigt werden.

Ja, der Ewige ist ein eifervoller Gott, und wie du selbst, gemäß dem Grade, in welchem dein Herz sich für die Gerechtigkeit entflammt, das Böse überall ahnden, das Gute lohnen möchtest, so sei versichert, dass derjenige, der die höchste Gerechtigkeit ist, auch mit dem höchsten Eifer die Bosheit verfolgt und früher oder später vor seinen Richterstuhl zieht, um sie zu strafen, und mit der lebendigsten Teilnahme die Liebe begleitet, bis ihr die reiche Fülle seiner göttlichen Gnaden zum Erbe geworden.

Er sucht die Sünde heim, auch wenn Menschen sie längst vergessen, er segnet die Tugend, wo das irdische Auge schon jede Spur davon verloren hat.

Und wie dem Sinnen und Treiben, so wendet sich der göttliche Geist auch den Schicksalen der Menschen mit ewig wachem und nichts übersehendem Anteil zu. Nicht in unnahbarer Ferne waltet er, sondern stets nahe deinem Herzen und dem Rufe deines Mundes. Es gibt kein Lächeln des Glückes, dem er fremd bliebe, und keine Träne des Schmerzes, der er sich entzöge; Alles beachtet sein Liebeseifer. Darum halte zu ihm in den Tagen der Lust und suche ihn auf in den Tagen des Kummers: er wird die Lust dir erhöhen, er wird die Trübsal dir verscheuchen.

Voriges KapitelNächstes Kapitel