Glaube, Andacht und Pflicht
Ich bin der Ewige, dein Gott
Das allmächtige und ewig gütige Wesen, von dem Eltern, Lehrer und die Bücher der Vorzeit dir erzählt haben, welches in den Höhen und in den Tiefen täglich sich offenbart durch die Werke der Schöpfung und deren Erhaltung, und welches sich dir in deiner eignen Brust immer auf's Neue verkündet, das nennst du Gott.
Eltern und Lehrer haben dir erzählt und in heiligen Urkunden hast du es gelesen, wie groß und erhaben das Wesen Gottes ist, wie wunderbar sein Walten von den Tagen unsrer frühesten Vorfahren bis auf diesen Tag, wie er die Schicksale der Urväter geleitet mit Gerechtigkeit und Liebe, wie er ihre Nachkommen aus Knechtschaft und Druck befreit, den Späteren beigestanden zu allen Zeiten, und wie ihm daher allein zu vertrauen in Glück und Unglück, in Freude und Bedrängnis.
Und du blickst hinaus, schaust auf den Himmel mit dem Heer seiner Gestirne, auf die Berge und Täler, auf die Flüsse und Fluren und auf die Wesen, die sich dort regen, in Allem erkennt dein Geist einen unsichtbaren, weisen und liebreichen Urgrund, der dem All, welches er hervorgebracht, auch die Kraft verleiht, dass es
in der Fülle seiner Herrlichkeiten sich immerdar verjünge und erneuere. Ohne Worte verkündet ein Tag dem andern und eine Nacht der folgenden die Offenbarung des Himmels und der Erde: Uns hat ein mächtiger und weiser Urheber gebildet, uns bewacht ein gewaltiger Hort, ein ewiger Erhalter!
Dann versenkst du dich in dein eigenes Innere und auch da vernimmst du jene Stimme, die von Gott dir deutlich Kunde gibt. Wenn du deines Lebens und seiner Güter dich freust, so ruft sie dir zu: Gott ist es, dem du alle guten Gaben verdankst; wenn du die Geliebten um dich herum anschaust, Vater und Mutter, Brüder und Schwestern, Verwandte und Freunde, so erinnert sie dich an den treuen Versorger, der dir die Genossen der Liebe geschaffen und erhalten; — wenn die Sorge dich drückt, wenn Schmerz und Leid an deinem Herzen nagen, dann ermuntert sie deine Seele, zum Gebet sich empor zuringen zu Gott, dem Helfer, dass er dir beistehe, dass er dich tröste und stärke, und dass er deine Trauer, deine Not und Gefahr in Segen und Rettung wandle. Wird die Erfüllung deiner Pflicht dir schwer, so dass du unsicher zwischen Recht und Unrecht schwankst, dann vernimmst du jene Stimme als Botin Gottes, welche dich mahnt, die Verlockungen der Sünde zu überwinden, welche dir die fehlende Kraft ergänzt zum Siege über das Böse und dich hinausführt aus der höchsten Gefahr, in die du geraten kannst, aus der Versuchung, dir selbst untreu zu werden und deiner bessern Überzeugung zuwider zu handeln.
So begleitet dich durch dein ganzes Dasein die Erinnerung an den heiligen Unsichtbaren; in den Geschicken der Väter, in der Welt um dich her und in deinem ganzen eignen Leben ruft sie dir zu: Ich bin der Ewige dein Gott!
Die Göttliche Obhut
der ich dich aus Ägypten befreit,
aus dem Hause der Knechte.
Bei jeder Gelegenheit wirst du an das wichtige Begebnis erinnert, wie einst das Volk Israel trotz seiner geringen Zahl und trotz des großen Mangels an äußern Hilfsmitteln dem harten Joch der mächtigen Ägypter zu entrinnen vermochte, wie die Verfolger ihren Untergang in den Tiefen des Meeres, die Verfolgten aber ungehoffte Errettung fanden und wie all dies von demselben unsichtbaren Wesen ausging, welches die Welt geschaffen. Obwohl vor den Sinnen der Menschen der Mann Moses die wunderbare Befreiung und den wunderbaren Übergang über das Meer bewerkstelligt zu haben schien, so erkannten sie doch, dass hinter dem Vorhang des Irdischen, der ihn uns allen verdeckt, der unsichtbare Gott allein das Große und Unglaubliche gewirkt habe, das ihre Augen gesehen.
Die Erinnerung an jenes Ereignis soll nun auch in dir die Erkenntnis erwecken und befestigen, dass die Welt von einem gerechten und heiligen Willen gelenkt wird, der über alle irdischen Entwürfe reicht, der früher oder später seine Liebesabsichten verwirklicht, gegen welche menschliche Macht und Willkür vergeblich ankämpfen.
Es besteht ein Wesen, welches die Geschicke der Völker und der Einzelnen mit Gerechtigkeit und Wohlwollen leitet, nach weisheitsvollen Plänen, die unser kurzsichtiger Blick nicht zu umfassen vermag.
Wenn daher der Frevel sich mit raschem Erfolge an dem vergreift, was dir das Teuerste ist, wenn dein Gemüt mit bangen Sorgen und unruhigen Zweifeln erfüllt wird, wenn du zu fürchten anfängst, dass keine Rettung mehr möglich ist, so denke an den unsichtbaren Befreier aus Ägypten.
Wenn irdische Machthaber das Werk der Feindseligkeit mit Schrecken und Verfolgung durchsehen, wenn sie Entschlüsse der Leidenschaft und der Verblendung ausführen, so harre auf den, der die Gedrückten aus dem Hause der Plage geführt hat.
Wenn überall die Gewalt zu siegen und das Recht zu unterliegen droht, so getröste dich dessen, der die erstere stürzte und das letztere aufrichtete, als in einem Grade ohne Gleichen die Möglichkeit dazu undenkbar schien. Der damals Wunderbares getan, er kann es auch heute wirken; denn er ist — der Ewige dein Gott.