Glaube, Andacht und Pflicht
Du sollst den Namen des Ewigen, deines Gottes, nicht anrufen zum Falschen (Du sollst nicht falsch schwören)
Weil man von den Menschen im Allgemeinen voraussetzt, dass sie Gott als den Allwissenden und Allgerechten anerkennen und ehrfürchten, werden sie in gewichtigen Fällen veranlasst ihn ausdrücklich als Zeugen ihrer Behauptungen oder Versprechungen anzurufen, das heißt zu schwören. Dem Richter namentlich, der in streitigen Fällen die Aufgabe hat, die Wahrheit zu erforschen, steht zur Erreichung dieser Absicht oft kein andres Mittel zu Gebote, als uns schwören zu lassen. Wer diese Handlung vollzieht, spricht damit aus: ich bin mir wohl bewusst, dass Gott meine Worte vernimmt und dass er lügenhafte »nicht ungestraft lässt«; darum baue jeder darauf, dass meine Aussage eine wahre ist.
Wenn du nun trotzdem unter Anrufung Gottes Lüge redetest, so würdest du selbst ihn als Rächer der Unwahrheit herab beschwören, so würdest du gleichsam zu ihm sagen: Du, der allein sieht, wo des Menschen Auge nicht ausreicht, der allein strafen kann, wo des Menschen Arm zu kurz ist, fahre hernieder mich zu entlarven und mich nach meiner fürchterlichen Schuld zu züchtigen.
Denn in zweifacher Beziehung vermehrt der falsche Schwur die Sündhaftigkeit der an sich schon schlimmen Lüge: er enthält eine unmittelbare Lästerung Gottes und er erhöht die Täuschung der Menschen zur gröblichsten.
Er enthält eine Lästerung Gottes:
Wenn du
einem ehrbaren Menschen zumuten wolltest, dass er dir eine lügenhafte
Aussage als Wahrheit bezeuge, würdest du ihn nicht aufs Tiefste
kränken und beleidigen? Um wie viel mehr Gott, wenn du ihn, der die
Wahrheit selber ist, als Zeugen deiner Lüge anrufst.
Er macht die Täuschung zur gröblichsten: Je größer das Vertrauen der Menschen zum Schwur ist, desto schlimmer und schändlicher ist der Missbrauch dieses Vertrauens. In dem Grade, in welchem man ein beschworenes Wort für glaubwürdiger hält als das unbeschworene, ist der Betrug durch falschen Schwur fluchwürdiger als die bloße Lüge.
Treue und Glauben, das Band der menschlichen Gesellschaft, welches die Lüge lockert, — vom Meineid und Eidbruch wird es geradezu aufgelöst.
Lüge und Wahrheit
Lüge und Wahrheit
Ihr sollt nicht ableugnen und nicht lägen einer dem andern. 3. Mos. 19, 11. — Bewahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen vor falscher Rede. Ps. 34, 14. Gewöhne dich nicht an die Lüge, denn das ist eine schändliche Gewohnheit. Sirach 7, 14.
Da Gott, auch ohne dass du ihn anrufst, Zeuge aller deiner Taten und Worte ist, so nimm dich überhaupt vor jeder Lüge in Acht und befleißige dich in dem Gedanken, dass über dir ist ein allsehendes Auge und ein allvernehmendes Ohr, der steten Wahrheit. Die Wahrheit allein entspricht deiner Würde, der du im Ebenbild Gottes geschaffen bist; gewinnt dir das beglückende Einverständnis mit ihm und mit dir selbst, verschafft dir das Vertrauen und die Achtung der Menschen. »Wer darf weilen in der Nähe Gottes? … Wer Recht übt und die Wahrheit redet in seinem Herzen« (Psalm 15, V. 1 u. 2). Der Lügner aber ist ausgestoßen aus der reinen Sphäre seines heiligen Urbildes, ist in ewigem Zwiespalt mit sich selbst und vor ihm verschließt sich allmählich der Kreis der Redlichen.
Siehe auch, wie die Lüge die Helferin aller andern Sünden wird und die Wahrheit die Pflegerin aller andern Tugenden.
Wer sich nicht vor der Lüge scheut, der benutzt sie gar leicht, um seine Fehltritte zu verbergen oder zu beschönigen und gerät so immer tiefer ins Verderben. Indem er nämlich den Tadel und die Strafe der Menschen fürchtet, sucht er derselben zu entgehen durch falschen Vorwand oder durch Ableugnung des Begangenen, und je mehr es ihm damit gelingt, desto geläufiger wird ihm das schlechte Mittel der Lüge und der verwerfliche Zweck des Unrechts.
Eine wie mächtige Stütze zu allem Guten ist hingegen die Wahrheitsliebe.
Nimm an, du seist in Versuchung, ein Unrecht zu begehen; aber es eintretenden Falles abzuleugnen wärest
du außer Stande. Wirst du es nicht lieber unterlassen, da du es doch eingestehen und die damit verbundene Beschämung oder Strafe tragen müsstest? Oder: du hast dir bereits eine Übertretung zu schulden kommen lassen und hast sie deiner Wahrheitsliebe gemäß offen bekannt; wirst du dann nicht vorsichtiger werden, wirst du nicht wenigstens in wiederkehrenden Fällen vor der Sünde Stand halten, um nicht wiederholt gegen dich zeugen zu müssen? Wirst du nicht allmählich die Laster von dir weisen und die Tugenden dir aneignen, um in Wahrheit vor Gott, vor dir selbst und vor den Menschen bestehen zu können?