Lina Morgenstern

Glaube, Andacht und Pflicht

Gebet zum Ernte- oder Hüttenfest

Freudigen Herzens begehen wir das Fest der Ernte! Der reiche Fruchtsegen deckt die Felder! Mit froher Dankbarkeit bringt der Landmann die Frucht in die Scheuern, die Du o Gott für Reich und Arm gleich reifen ließest! Denn Deine Liebe ist allen Menschen gleich zugewandt! Du f den friedlichen Bewohner der Städte wie den Wandrer unter des Himmels Zelt! So schützest Du einst die Israeliten in der Wüste, ehe sie feste Wohnsitze gründen konnten, so auch leitest Du uns fort und fort auf unsrer Pilgerfahrt durchs Leben! — Doch wir sollen hienieden einsammeln für die Ewigkeit und eingedenk bleiben, dass wir in unsrem Körper, wie in vergänglichen Lehmhütten wohnen! O Gott, so erleuchte Deines Geistes Lichtstrahl meine Seele, dass ich nach Veredlung strebe und nach sittlicher Kraft und Reife trachte, damit wenn der Tag meiner Ernte kommt, ich nicht zaghaft sei ohne gute Früchte meines Lebens vor Dir Gott und Richter erscheinen zu müssen! — Noch o Gott stehen wir zagenden Herzens und wissen nicht wie die Ernte ausgefallen ist! Sei nahe den Erntenden und lass sie kein Unwetter treffen, ehe die Frucht in Sicherheit ist! Denn was ist all unsre Mühe, mit der wir die Gaben der Erde groß ziehen ohne Deinen Segen? In Deiner Macht ist des Wetters Strahl!

So auch pflanzten und pflegten die teuren Eltern, die Führer unsrer Jugend, alle edlen Triebe unsres Herzens — aber mit Bangen harren sie der Zeit, da ihre Saat in uns Frucht getragen!

Wie kann ich aber, so fragst du, Liebe und Zufriedenheit bewahren bei der Bosheit der Menschen um mich her und bei dem Missgeschick, das mich selbst, den Unschuldigen, trifft?

Sorge nur für zwei Dinge und du wirst auch diese schwerste Forderung erfüllen.

Erhalte und pflege in dir den Glauben an eine liebreiche Vorsehung und verfahre so, dass das Bewusstsein redlicher Pflichterfüllung dir nimmer fehle. Von diesen zwei Sternen begleitet wirst du auch in der einsamen Nacht der schwersten Unglücksfälle dich geborgen wissen und nicht ohne Tröstung verbleiben, wenn auch die Menschen mit ihrem Undank dich kränken oder in ihrer Gleichgültigkeit dich schnöde verlassen.

Vielmehr erhebt sich dann mit doppelter Stärke in deinem Innern die Stimme des allgegenwärtigen Gottes, der in allem Elend und in aller Trübsal dir nahe geblieben.

Und diese Stimme bringt Linderung deinem Leiden, Heilung deiner kranken Seele; müsstest du ohne ihren Ruf verzweifeln, so kehrt mit ihrem lieblichen Schalle Ergebung in dein Gemüt.

Ergebung ist etwas ganz Anderes als kaltes und widerwilliges Entsagen, wo wir die Gewährung der sehnsüchtigen Herzenswünsche und der innigen Bitten uns verwehrt sehen; sie ist vielmehr wohltuendes und warmes Einverständnis mit einem höheren und weiseren Plan, vertrautes Eingehen in den Willen des Allgütigen.

Indem die Ergebung selbst in den Schmerzen, welche der Nächste ihr bereitet, und in den Wunden, welche das Geschick ihr schlägt, vertrauensvoll die Beförderungsmittel des eignen Besten erkennt, wird sie schon dadurch uns zum Segen. Denn sie bewahrt uns vor dem Hass gegen die Nebenmenschen, der oft in Ungerechtigkeiten ausartet, und erhält in uns wach die Freudigkeit des Wirkens und den Mut zur guten Tat, welche immer die Zeichen des wahren Glückes sind.

O Gott so kräftige uns durch das Sonnenlicht der Wahrheit, Unschuld und Liebe, dass wir alles Unkraut verderblicher Leidenschaften aus unserem Herzen reißen und unsre Seele behüten vor sittlichem Schaden! Gib dass mein Leben fruchtbringend sei für diejenigen, an denen mein Herz mit Dankbarkeit und Liebe hängt und verlängere ihr Leben, damit sie freudig ernten können, was sie liebend säten. Amen!

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