Lina Morgenstern

Glaube, Andacht und Pflicht

Du sollst nicht ehebrechen

Dieser Ausspruch wendet sich allerdings zunächst an Gatte und Gattin, dass sie eingedenk seien der gegen einander eingegangenen Verpflichtungen der Liebe und Treue, des festen Zusammenhaltens in Freud' und Leid, und mahnt sie, in der Ehe das heiligste Bündnis, welches Menschen mit einander schließen können, zu erkennen und es daher mit ihrer ganzen sittlichen Kraft zu wahren und zu hüten.

Aber auch der Jüngling und die Jungfrau dürfen darüber nicht etwa als Unbeteiligte hinweggehen; denn jede Untreue, jede Unkeuschheit, jede Unverträglichkeit ist eine Vorbereitung zur Sünde des Ehebruchs.

Darum gewöhne dich bei Zeiten, Treue zu halten dem Vertrage und Versprechen, sie zu üben an dem Verwandten und Genossen. Auch wenn du einen Vorteil aufgeben musst, brich nimmer dein Wort; auch wenn du Opfer zu bringen hast, stehe fest zu demjenigen, der deines Blutes ist oder zu welchem du in nähere Beziehung getreten bist. Denn alles das hast du auch in der Ehe zu leisten, nur noch erhöht in Maß und Vorsicht und in mannigfacheren Rücksichten. Der Ehestand ist heiliger Vertrag, innige Verwandtschaft und eng geschlossene Gemeinschaft zugleich und verlangt daher die höchste Treue nach allen Richtungen.

Eigne dir ferner die strengsten Grundsätze der Sittsamkeit und Züchtigkeit an. Nur wenn dir das Unanständige auch widerlich, jegliche Verlegung der Keuschheit ein Gräuel ist, wirst du gegen alle Versuchungen gerüstet sein, wirst du selbst die Gedanken der Schamlosigkeit allzeit von dir bannen. Das beste Mittel aber, rein zu bleiben in Sinn und Tat, ist die Arbeit; schon darum also gewöhne dich an ein Leben des Fleißes und munterer Tätigkeit.

Endlich gib dir Mühe, nachgiebig und verträglich zu bleiben, auch wenn dein Widerspruch und deine Ungeduld öfter herausgefordert werden sollten. Lerne Zufriedenheit mit deiner Umgebung, wie sie einmal ist, und grüble nicht darüber, wie sie eigentlich beschaffen sein sollte; suche ihre Schwächen ohne Gereiztheit zu ertragen, halte ihr mit Sanftmut das begangene Unrecht vor und überlege immer, dass auch sie an dir mancherlei Mängel zu vergessen und von dir mancherlei Ungemach zu dulden hat. Dann wirst du auch als Gatte Milde und Nachsicht üben mit dem andern Teil und mehr an die Pflicht und Leistung, als an den Anspruch und die Forderung denken.

Die Freundschaft

Am nächsten verwandt mit dem Verhältnis der Ehe ist dasjenige der Freundschaft.

Nicht durch Vereinigung zu gemeinsamen Geschäften, nicht durch Austausch von Dienstleistungen und Gefälligkeiten, der auf Eigennutz beruht, sondern durch wachsende Anziehung und Zuneigung der Seelen wird sie gebildet, durch das Wohlgefallen am trauten Zusammenleben und durch gegenseitige Opfer gefestigt und gestärkt. Die Liebe und das tiefe Bedürfnis, sich zum Guten und Edlen durch eine entsprechende Kraft zu ergänzen sind die Quelle der Freundschaft.

Der Jüngling und die Jungfrau, welche Sinn für dieselbe haben, verraten daher auch ihre Befähigung für das Leben in der Ehe, welche nur eine besonders geheiligte Art der Freundschaft ist. Diejenigen aber, welche gegen die geschlossene Freundschaft zu sündigen vermögen, beweisen die Treuebrüchigkeit ihres Herzens und werden auch der Gattenpflicht nimmer genügen.

Übe daher an dem Freunde der Jugend die Fähigkeiten der Treue und Entsagung, der Geduld und Opferfähigkeit.

Wie du jedoch auch außerhalb der Ehe stehend Pflichten gegen dieselbe hast, wie du zwischen Gatte und Gattin niemals Misstrauen und Entzweiung, sondern im Gegenteil Einigung und Verständigung bringen sollst, so sei dir auch der Tempel der Freundschaft heilig, dass du ihn nimmer schändest durch das fremde Feuer der Zwietracht und des Zerwürfnisses, welches dein unvorsichtiges Wort leicht zu entzünden vermag. Stelle vielmehr den Frieden zwischen Freunden wieder her, die ihn verloren haben, und weise sie hin auf das Missverständnis, welches ihre Seele gefangen hielt. Erwecke die alte Liebe zu einander in ihrem Herzen und erneure die Kraft derselben, dass sie wieder vereint durchs Leben gehen, zu dessen Erleichterung und Verschönerung sie sich verbündet hatten.

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