Lina Morgenstern

Glaube, Andacht und Pflicht

Nach dem Tod von Geschwistern

Wie soll ich mich fassen? wo soll ich Trost finden? Das geliebte Wesen, das noch vor Kurzem all unsre Freuden, unser Streben teilte, dessen blühendes Leben uns mit den herrlichsten Hoffnungen erfüllte — plötzlich von des Todes eisiger Hand berührt, starr und kalt! Vergebens rufe ich Dich mit Worten der Liebe, vergebens sehnt sich mein Herz Deine liebe Stimme zu hören! — Du kehrst uns nimmer wieder. Wie waren wir so glücklich vereint im Leben! wie froh teilten wir alle Spiele und alle von den Eltern empfangenen Wohltaten! Und nun lässt Du mich trauernd und klagend zurück — ich stehe vor den ewigen Rätseln des Lebens — und mein verzweifelndes Herz möchte murren gegen die Bestimmung, die uns traf!

Aber mir ist es, als hörte ich Deinen verklärten Geist mir zurufen: Was Gott tut, das ist wohlgetan! Seine Wege sind unerforschlich — und ein Teil des Friedens, zu dem Du entschlummert bist, senkt sich als Ergebung in des Höchsten Willen in meine Brust. — Ich füge mich in das Gebot Gottes und mein Trost soll es sein, dass auch ich denselben Weg wandle und einst vereint werde mit Dir!

Dein frühes Scheiden aber lehre mich jede Stunde wahrnehmen, und immer so zu leben, als wäre die letzte nahe! Den lieben Eltern ein Trost zu werden und mit noch festerer Liebe an denen zu bangen, die mir im Leben geblieben sind, sei meine Aufgabe. Friede sei mit Dir verklärter Geist. Amen!

Voriges KapitelNächstes Kapitel